Information: Software-Patente unter der Lupe [3.1]
Artikel 2: Begriffsbestimmungen [1]
a) "Computerimplementierte Erfindung" ist jede Erfindung, zu deren Ausführung ein Computer, ein
Computernetz oder eine sonstige programmierbare Vorrichtung eingesetzt wird und die mindestens ein Merkmal
aufweist, das ganz oder teilweise mit einem oder mehreren Computerprogrammen realisiert wird.
a) Ein Hauch von Programm reicht, um als "computerimplementiert" zu gelten
Artikel 2 wird oft schnell überlesen, weil es sich ja angeblich nur um eine
Begriffsdefinition handelt. Doch schauen wir einmal genauer hin.
Betrachten wir zuerst die Formulierung "...mindestens ein Merkmal...".
Dies bedeutet, dass es beliebig viele Merkmale geben kann, aber ein einziges davon als
Programm reicht aus, um die Erfindung als Ganzes als "computerimplementierte Erfindung"
zu bezeichnen.
Weiterhin heisst es, dass dieses eine Merkmal "...ganz oder teilweise..." mit
einem Programm realisiert werden kann. Das Wörtchen "teilweise" beweist, dass sogar ein
noch viel geringerer Teil genügt.
Was nun nicht klar hervorgeht ist, wie gering dieser Anteil sein darf.
Dies ist seltsam. Warum? Nun, es wird hier der Begriff "computerimplementierte
Erfindung" (bzw. "softwaregestützte Erfindung"
[2])
definiert, aber der Anteil an Software darf so gering sein,
dass von "computerimplementiert" oder "softwaregestützt"
kaum mehr die Rede sein kann.
Das wäre so, als würde ein Architekt eine Brücke bauen und die Fahrbahnmarkierung wird
als "tragendes Element" der Konstruktion angesehen.
Aufgrund der minimalen Anforderungen ist zu vermuten, dass schon ein Hauch von Software
ausreicht, damit eine Erfindung als "computerimplementiert" gilt. Es wird folglich
viel zu viel als patentierbare Erfindung eingestuft.
Beispiel
EP0844581
Ultrasonic diagnostic imaging system with data access and communications capability.
ATL ULTRASOUND INC (US)
An ultrasonic diagnostic imaging system is provided which is capable of accessing images
and information from internal or external databases by means of a browser. Access to such
images or information may be over a local network or over a worldwide network such as the
Internet. The browser may be used to pull in system preset data or reference images from
a reference image library, for instance.
http://v3.espacenet.com/textdoc?DB=EPODOC&IDX=EP0844581
Gängige Netzwerk-Programmierung (Standard-Protokolle: http, smtp, pop3 etc.) wird in
obigem Beispiel im Zusammenhang mit der Darstellung von Informationen (Ultraschall-Aufnahmen)
in der Medizin patentierbar gemacht. Ultraschall-Aufnahmen betrachten oder mit einem
Web-Browser umgehen, darf jeder Arzt, nur beides zusammen darf er nicht.
Dies ist bedenklich, da Artikel 5 in Absatz 1 bestimmt, dass jeder EU-Mitgliedsstaat
sicherzustellen hätte, dass eine "computerimplementierte Erfindung" patentiert werden
kann. Software kann damit als Grund herhalten, um Patente, die man zuvor (wohl aus berechtigtem
Grund) abgelehnt hätte, dennoch beim Patentamt durchzubekommen.
b) Was ein Programm kann, kann auch ein Mensch
Als Basis sollen die folgenden Aussagen dienen:
Ein Mensch kann Regeln beachten und Pläne ausführen. Sobald ihm dieselben
Informationen vorliegen, kann er dieselben Ergebnisse berechnen, wie ein Programm.
Ein Mensch kann Änderungen in einem Computer, Computernetz oder sonstigen Vorrichtung
bewirken, wenn er eine entsprechende Schnittstelle benutzt. Sobald er dabei einem
vorgegebenen Plan folgt, kann dasselbe Ergebnis erzielt werden, wie mit einem Programm.
Wenn ein Mensch einen Computer, ein Computernetz oder eine sonstige programmierte
Vorrichtung benutzt, kann er in den Anspruchsbereich einer sogenannten
"computerimplementierten Erfindung" eindringen und ein Patent verletzen.
Eine "computerimplementierte Erfindung" kann in den Bereich menschlicher
Verstandestätigkeit oder Handelns eindringen, wenn damit Aufgaben erledigt werden,
die zuvor ein Mensch erfüllen konnte.
Angenommen wir hätten eine "computerimplementierte Erfindung", nennen wir sie mal
E1, die patentiert werden kann und drei Programme A, B, C beinhaltet.
Nun konstruieren wir eine zweite "computerimplementierte Erfindung", nennen wir sie mal
E2, indem wir z.B. Programm B durch die gedankliche Tätigkeit und der darauf begründeten
Handlungen eines Menschen ersetzen.
Es wird nun eine der beiden Erfindungen patentiert.
Weil sich aber dasselbe Ergebnis ergibt, liegt durch die jeweils andere Form eine
sogenannte äquivalente Verletzung vor.
Anmerkung:
"Das Patentrecht schützt demgegenüber auch vor so genannten äquivalenten Verletzungen des
Schutzrechtes, wenn also die geschützte Erfindung in anderer Form, aber mit demselben Ergebnis
nachgebaut wird, z.B. mit Nieten statt mit Schrauben."
[3]
(Bundesministerin Zypries im Interview mit Herrn Stefan Krempl, freier Journalist)
Es stellt sich somit die Frage, ob die Erfindung E1 (mit Programm) und die Erfindung
E2 (mit gedanklicher Tätigkeit) bezüglich der Patentierbarkeit gleich behandelt werden
müssen, da bei beiden dasselbe Ergebnis herauskommt?
Artikel 52 EPÜ
[4] bzw. Artikel 1 DPatG
[5] führen beide in Absatz 2 eine Liste von
nichtpatentierbaren Gegenständen oder Tätigkeiten auf. Unter Punkt c) werden dort genannt:
"Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für
geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen".
Programme und gedankliche Tätigkeiten werden dort im gleichen Satz genannt. Der Gesetzgeber
hatte wohl einen sehr guten Grund Programme hier mit in die Liste aufzunehmen!
Ein solcher Grund war der Schutz bzw. Vorrang menschlicher Verstandestätigkeit gegenüber dem
Output einer programmierten Maschine. Was es damit auf sich hat soll nachfolgend genauer
beschrieben werden.
Wie zuvor schon aufgezeigt, könnte eine Erfindung E1 (mit Programm) patentiert werden,
was dazu führt, dass die Nutzung von E2 (mit gedanklicher Tätigkeit) vom Patentinhaber
verboten werden kann. Damit stellt man quasi die Maschine über den Menschen oder noch schlimmer:
ein einzelner kann vielen anderen eine bestimmte gedankliche Tätigkeit untersagen.
Der Effekt ist umso schlimmer, je einfacher der Algorithmus durchzuführen ist, d.h. viele
Menschen wären in ihrer alltäglichen Arbeit behindert - und auch die Gedankenfreiheit.
Ein Algorithmus kann sowohl vom Computer als auch vom Menschen durchgeführt werden.
Dies ist nur bei "Naturkräften" nicht so. Daher sollten Patente nur im Bereich der Naturkräfte
erteilt werden. Werden aber Programme patentierbar, dann müssten auch gedankliche Tätigkeiten
patentierbar sein. Das will sicher niemand.
Lösung ist somit, dass man beides gleich behandelt, indem man beides von der
Patentierbarkeit ausschließt.
Man vergleiche hierzu die Fassung des EU-Parlamentes
[6], z.B. Artikel 4 Absatz 4, wo geregelt
ist, dass "computerimplementierte Erfindungen" einen technischen Beitrag leisten und eine
neue Lehre über die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung in der Nutzung kontrollierbarer
Naturkräfte darstellen müssen.
Beispiel
Ein alltäglicher Vorgang in einem Handelsunternehmen:
- Ein Mitarbeiter bekommt eine Kundenanfrage per E-Mail. Darin möchte ein Kunde einen
bestimmten Artikel bestellen.
- Der Mitarbeiter sendet daraufhin eine Antwort an den Kunden, worin er mitteilt, dass der
Artikel im Lager ist. Da der Kunde aber ein Neukunde ist, teilt er weiterhin mit, dass
der Versand nur per Nachnahme erfolgen kann und fragt an, ob dies so in Ordnung sei.
- Der Kunde bestätigt dies, da er den Artikel unbedingt benötigt.
- Der Mitarbeiter erstellt den Auftrag und der Artikel geht in den Versand.
Man vergleiche dies mit folgendem Patent:
EP1376427
A method and system for filtering electronic messages.
MICROSOFT CORP (US)
A method for filtering electronic messages, the method comprising:
- receiving an electronic message from a sender;
- sending a prompt back to the sender;
- receiving a response to the prompt; and
- determining if the response is a proper response.
http://v3.espacenet.com/textdoc?DB=EPODOC&IDX=EP1376427
Wie man an obigem Beispiel sieht, gibt es keinen Unterschied im Ablauf zwischen dem Wirken eines
Programmes und dem durch gedankliche Tätigkeit geführten Handeln eines Menschen. Ein Teil der Arbeit
des Mitarbeiters könnte durch ein Programm erfüllt werden und umgekehrt.
Sicher gibt es Interpretationsspielraum in der Frage wie viel oder wie wenig menschliche
Tätigkeit als Substitut eines Programmes notwendig oder erlaubt ist. Aber es bleibt dabei, dass
damit garantierte Grundrechte berührt werden, weil der Patentinhaber quasi ein (Denk-)Verbot
aussprechen darf.
Dieser Interpretationsspielraum ist jedenfalls in der Richtlinie nicht näher bestimmt.
Es stellt sich auch die Frage, in wie weit eine Minderheit das Recht erhalten darf, die
grundgesetzlich garantierten Werte der Mehrheit einzuschränken?
Aufgrund der Hierarchie der Rechtsvorschriften steht das Patentrecht unterhalb des Grundgesetzes.
Es bezieht sich aber auf Artikel 14 GG "Eigentum", nachdem Inhalt und Schranken des Eigentums
gesetzlich bestimmt werden (Dem Patentinhaber wird das Eigentum an seiner Erfindung gewährt). Aber
innerhalb des Grundgesetzes gelten ebenfalls Prioritäten. So sind die Artikel 5 GG
"Meinungsfreiheit", Artikel 2 GG "Freie Entfaltung der Persönlichkeit" und auch
Artikel 1 GG "Menschenwürde" vorrangig zu Artikel 14 GG.
WICHTIG: Im Zweifel muss das Recht des einzelnen auf freie Kommunikation Vorrang vor dem
Schutzinteresse des Patents haben.
[1] http://register.consilium.eu.int/pdf/de/04/st09/st09713.de04.pdf
[2] http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/indprop/comp/02-277.htm
[3] http://viadrina.euv-frankfurt-o.de/~sk/Pub/int_zypries.swpat.html
[4] http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar52.html
[5] http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/patg/
[6] http://www2.europarl.eu.int/registre/.../EP-PE_TC1-COD(2002)0047_DE.pdf
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